«Als Geschäftsführer bin ich ein HR-Leiter mit erweiterten Funktionen.» Trifft diese Aussage auch auf die Stadt- und Gemeindeschreiber zu? Der Fachkräftemangel – der Generationenwechsel – Corona lassen grüssen.
Ich habe in den letzten 3 Monaten über 100 Städte und Gemeinden, > 500 Mitarbeitende bis < 10 Mitarbeitende, die Frage gestellt:
𝙈𝙤𝙣𝙞𝙩𝙤𝙧𝙚𝙣 𝙎𝙞𝙚 𝙙𝙞𝙚 𝘼𝙗𝙜𝙖̈𝙣𝙜𝙚 𝙫𝙤𝙣 𝙈𝙞𝙩𝙖𝙧𝙗𝙚𝙞𝙩𝙚𝙣𝙙𝙚𝙣? 𝙇𝙤𝙝𝙣𝙩 𝙨𝙞𝙘𝙝 𝙙𝙖𝙨 𝙪̈𝙗𝙚𝙧𝙝𝙖𝙪𝙥𝙩? (kleine Gemeindeverwaltungen)
❗️ Wie hoch ist die durchschnittliche Fluktuation in der Schweiz:
Bundesverwaltung (2023): 8,1% Ø
Zwei Umfragen unter 600 Unternehmungen (2023) in der Schweiz: 11% Ø
👉🏻 Das wären bei 50 Mitarbeitenden bereits 5 Mitarbeitende/Jahr. 👈🏻
Die befragten Städte-/Gemeindeverwaltungen bewegen sich im durchschnittlichen Schweizer Bereich von 0 – 8 bzw. – 12%.
Die Gemeindeverwaltungen erfassen die Stellenwechsel, resp. deren Gründe, zum grössten Teil nicht. Bei einigen Gemeinden wird/ist die systematische Erfassung in der Zukunft ein Thema.
𝙒𝙖𝙨 𝙨𝙞𝙣𝙙 𝙙𝙞𝙚 𝙂𝙧𝙪̈𝙣𝙙𝙚 – 𝘼𝙪𝙨𝙨𝙖𝙜𝙚𝙣 𝙙𝙚𝙧 𝙐𝙢𝙛𝙧𝙖𝙜𝙚:
Die kleinen Verwaltungen, welche meistens in ländlichen Regionen arbeiten, haben keine/fast keine Fluktuation. Die Gemeindeverwaltung ist ein guter Arbeitgeber, welcher gerade auch in kleinen Verwaltungen kleine Teilzeitpensen (bis 40%) ermöglicht. Deshalb ist das Thema Fachkräftemangel dort gar kein Thema.
Durch die Grösse der Verwaltungen kann kein vollamtlicher (auch kein Teilzeit) HR-Leiter beschäftigt werden. Der HR-Leiter ist der Gemeindeschreiber. Der Interessenkonflikt zwischen den vielen zu erledigenden Geschäften lässt die Zeit für die Erfassung gar nicht zu.
In einigen Regionen gibt es keinen Mitarbeiter- und Fachkräftemangel. Alle Stellen konnten besetzt werden. Die Verwaltungen werden nicht mit Bewerbungen überschwemmt. Aber es war immer mindestens eine Bewerbung mit dem fachlichen Background dabei.
In anderen Regionen und in den grösseren Verwaltungen sieht das ganz anders aus. Stellen können teilweise nur nach langer Suchzeit oder nur mit Springern besetzt werden. Immer mehr werden Quereinsteiger eingestellt und eingearbeitet.
Für viele Bereiche (z.B. Steuern, Soziales) wird Spezialistenwissen benötigt. In diesen Bereichen sehen die meisten Gemeinden in der Zukunft grosse Probleme in der Stellenbesetzung.
Die befragten Stadt-/Gemeindeschreiber sind der Meinung, dass sie den Überblick über die Kündigungen und deren Gründe haben.
Was sagt die Wissenschaft zu unserer Gedächtnisleistung:
«Rückschaufehler (Hindsight Bias)»
Dies bedeutet, dass Vorgesetzte, wenn sie sich an Gründe für Austritte erinnern, oft vereinfachte oder subjektive Erklärungen verwenden, die nicht den tatsächlichen Gründen entsprechen.
Führungskräfte könnten sich eher an Kündigungsgründe erinnern, die in ihr bestehendes Weltbild passen, und andere Aspekte unbewusst ignorieren.
Erinnerungsgenauigkeit:
«Erinnerungsgenauigkeit sinkt mit der Zeit.»
Studien zeigen, dass das Langzeitgedächtnis oft lückenhaft ist und Menschen dazu neigen, Ereignisse zu vereinfachen oder zu generalisieren.
Systematisches erfassen versus Gedächtnis:
Ohne eine systematische Erfassung der Gründe für Mitarbeiterfluktuation ist es unwahrscheinlich, dass Führungskräfte über mehrere Jahre hinweg genaue und objektive Rückschlüsse ziehen können. Die menschliche Gedächtnisleistung lässt mit der Zeit nach, und das Gedächtnis neigt dazu, Ereignisse zu verzerren oder zu vereinfachen. Studien zur Gedächtnisforschung und Entscheidungsprozessen zeigen klar, dass subjektive Wahrnehmung und retrospektive Verzerrungen zu Fehleinschätzungen führen können.
Fazit:
Ein umfassendes Monitoring sollte die vielfältigen Gründe für Fluktuation systematisch erfassen, um einen differenzierten Überblick zu erhalten. So könnten die Verwaltungen allenfalls frühzeitig Massnahmen ergreifen, um die Mitarbeiterbindung zu verbessern, indem sie die wichtigsten Gründe analysieren und in die Personalstrategie einfliessen lassen.
Ein strukturierter Fragebogen und/oder standardisierte Austrittsgespräche können helfen, diese Kategorien in einem konsistenten Monitoring-Prozess abzubilden.
Welche Gründe könnte im Fragebogen/Monitoring überprüft werden? Siehe nachstehende Angaben.
Budgetprozess – Rekrutierung – Fachkräftemangel:
Die Gemeindeschreiber haben teilweise grosse Mühe, die in Zukunft viel höheren Rekrutierungskosten im Budget genehmigt zu bekommen. Ein Monitoring könnte aufzeigen, wie viele Stellen jedes Jahr besetzt werden müssen. Die Kosten könnten pro Suche erfasst und dokumentiert werden. Damit wären dies statistisch bewiesene feste Kosten und könnten allenfalls besser argumentiert werden.
Welche Fakten könnten in einem Monitoring erfasst werden:

1. 𝘽𝙚𝙧𝙪𝙛𝙡𝙞𝙘𝙝𝙚 𝙂𝙧𝙪̈𝙣𝙙𝙚
Karriereentwicklung – bessere Aufstiegsmöglichkeiten
Weiterbildung – erhalten im neuen Unternehmen bessere Weiterbildungsmöglichkeiten
Branchenwechsel
2. 𝙑𝙚𝙧𝙜𝙪̈𝙩𝙪𝙣𝙜 𝙪𝙣𝙙 𝙇𝙚𝙞𝙨𝙩𝙪𝙣𝙜𝙚𝙣
Unzufriedenheit mit dem Salär
Leistungsbezogene Vergütung: Mitarbeiter hat das Gefühl, dass seine Leistung nicht korrekt vergütet wird
Zusatzleistungen wie PK-Anteile oder flexible Arbeitszeiten könnten ebenfalls eine Rolle spielen
3. 𝘼𝙧𝙗𝙚𝙞𝙩𝙨𝙥𝙡𝙖𝙩𝙯- 𝙪𝙣𝙙 𝘼𝙧𝙗𝙚𝙞𝙩𝙨𝙪𝙢𝙛𝙚𝙡𝙙-𝙁𝙖𝙠𝙩𝙤𝙧𝙚𝙣
Arbeitsklima und Unternehmenskultur: Ein negatives Arbeitsklima, mangelnde Wertschätzung oder eine toxische Unternehmenskultur können Mitarbeiter dazu veranlassen, die Verwaltung zu verlassen
Beziehung zu Kollegen und Vorgesetzten – Besonders problematisch ist ein schlechtes Verhältnis zum Vorgesetzten
Arbeitsbelastung: Übermässiger Arbeitsstress oder eine unausgewogene Work-Life-Balance – zusätzliche Arbeiten wegen unbesetzten Stellen/Fehleinstellungen – unterschiedliche Erwartungen an Arbeitsplatz und Arbeitsaufgaben – mangelnde Bereitstellung von Ressourcen (Zeit, Arbeitsmittel, Personal)
Arbeitsplatzsicherheit (trifft in den Verwaltungen nicht zu – kann aber ein wichtiger Grund in der Gewinnung von Mitarbeitenden sein)
4. 𝙋𝙚𝙧𝙨𝙤̈𝙣𝙡𝙞𝙘𝙝𝙚 𝙂𝙧𝙪̈𝙣𝙙𝙚
Familiäre Verpflichtungen: Persönliche Gründe wie die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen können eine Rolle spielen. Flexible Arbeitszeiten oder die Möglichkeit zu Home-Office sind hier oft entscheidend
Umzug: Ein Umzug aus familiären oder persönlichen Gründen, beispielsweise in eine andere Stadt oder Region, kann ebenfalls eine Rolle spielen
5. 𝙁𝙪̈𝙝𝙧𝙪𝙣𝙜 𝙪𝙣𝙙 𝙈𝙖𝙣𝙖𝙜𝙚𝙢𝙚𝙣𝙩
Führung und Managementstil
Andauernde und nicht gelöste Konflikte
Fehlende Anerkennung und Wertschätzung
Mangel an Kommunikation
6. 𝙐𝙣𝙩𝙚𝙧𝙣𝙚𝙝𝙢𝙚𝙣𝙨𝙗𝙚𝙯𝙤𝙜𝙚𝙣𝙚 𝙂𝙧𝙪̈𝙣𝙙𝙚
Unternehmensstrategie: Veränderungen in Prozessen und Strukturen oder der Unternehmensstrategie (z. B. Umstrukturierungen) können Mitarbeiter zur Kündigung bewegen, insbesondere wenn sie sich mit der neuen Organisation nicht identifizieren können
Mangelhafte inhaltliche Einarbeitung und soziale Integration (fehlendes Onboarding)
Ethik und soziale Verantwortung: Wenn ein Mitarbeiter das Gefühl hat, dass das Unternehmen seinen ethischen Standards oder sozialen Verantwortungspflichten nicht gerecht wird, könnte dies ein Motiv für den Wechsel sein (bei den jüngeren Generationen vermehrt ein Thema)
7. 𝙀𝙭𝙩𝙚𝙧𝙣𝙚 𝙁𝙖𝙠𝙩𝙤𝙧𝙚𝙣
Konjunktur und Arbeitsmarkt: Ein angespannter Arbeitsmarkt oder eine wirtschaftliche Aufschwungsphase kann Mitarbeiter dazu verleiten, vermehrt neue Chancen zu ergreifen
Angebote von Wettbewerbern: Abwerbeversuche durch Wettbewerber, die möglicherweise höhere Gehälter oder attraktivere Konditionen bieten, spielen ebenfalls eine Rolle
Attraktivere Mitbewerber in der Region (andere Verwaltungen)

Ich habe alle möglichen Punkte erwähnt. Gleichzeitig ist dafür auch der Unterschied (Vorteil/Nachteil) einer Gemeindeverwaltung gegenüber der Privatindustrie ersichtlich.
👉🏻 Bleibt noch zu erwähnen, dass – meiner Meinung nach – sehr viele Gemeindeverwaltungen in vielen Bereichen sehr gut aufgestellt sind (oder sich auf dem Weg befinden) und damit auch für Quereinsteiger oder durch ihre Flexibilität (New Work) auch für die jüngeren Generationen (Millennials, Z, Y) attraktive Arbeitgeber sind. 👈🏻